Mit Hühnern auf Kuschelkurs

13 Sep 2021  Eaternity  9 mins read.

Der Vergleich der Auswirkungen von pflanzlichem und tierischem Hähnchen auf Mensch und Umwelt.

So manch einer ärgert sich, wenn da schon wieder ein Huhn reduziert als Hähnchenbrust im Warenregal landet. Viele von uns kennen die Situation, in welchen bei Konversationen über das Tierleben oder die Umweltbelastungen der Produktion genervt abgewunken werden. Wir haben uns daran gewöhnt und gehen dieser moralischen Diskussion aus dem Weg. Na klar ist das traurig - aber ganz ehrlich: Wir machen uns den lieben langen Tag Sorgen über ganz andere Sachen. Vielleicht, im passenden Moment, schauen wir unseren Kindern in die Augen und malen uns deren Zukunft aus. Möglicherweise kreisen unsere Gedanken dann um das krasse Unwetter neulich hier in der Schweiz, das unsere Ernten vernichtet hat. Und wir überlegen, was das Ganze mit dem Klimawandel zu tun hat. Und dann eben auch warum das ganze “Erbsen zählen” um die CO₂ Bilanz uns dann doch wieder auf Kuschelkurs mit unseren Hühnern führt. Wir haben da mal recherchiert:

100’712’000 Tonnen Hühnerfleisch werden jährlich geschlachtet, was, bei einem durchschnittlichen Gewichts eines Hühnchens von 3.5 Kilogramm, 28’774’857’000 Tieren entspricht1. Also: auf jeden Menschen gibt es weltweit 4 Hühner.

Die Menge an Soja, die diesen Masthühnern weltweit gefüttert wird, deckt die Fläche der Schweiz mehrfach ab. Würde diese Fläche dafür genutzt, Pflanzen direkt für die menschliche Ernährung anzubauen, hätten wir 20 mal soviel Proteine zur Verfügung.

Interessant ist, die Tiere leben in der Natur 5-8 Jahre. In der Produktion bekommen die kleinen Hähne2 36 Tage. Die Hennen bleiben zirka 20 Monate dabei um fleissig Eier zu legen.

Habt ihr auch schon gehört, dass Hähnchenbrust eben die perfekten Nährwerte hat um damit Muskeln aufbauen zu können? Paradoxerweise müssen auch die Hühner schnell an Masse zulegen. Deshalb werden sie mit Supplementen gefüttert. Und nicht nur mit Supplementen. In der Massentierhaltung3 würden sich Krankheiten rasend schnell übertragen, wenn nicht den Tieren auch regelmässig Antibiotika verabreicht wird. Dies trägt erheblich zur Antibiotikaresistenz bei. Es sterben in der EU jährlich 33’000 Personen, weil ihr Körper mit antibiotikaresistenten Erregern infiziert wurde4. Auch die Natur kann die Antibiotika nicht mehr abbauen.

Es ist fragwürdig, ob die Natur mit unserem heutigen Fleischkonsum im Gleichgewicht bleiben kann oder eines erreichbar ist. Das Mastfutter für Hühner (der Hauptanteil, bis zu 800 Gramm Sojaschrot pro Hühnchen) wird heute hauptsächlich in Südamerika angebaut. Dort werden, um Platz für den Anbau zu schaffen, immer mehr Wälder abgeholzt und Savannen zerstört.

Den dreifachen Bestand der Hühnchen, die in der EU leben, also ein Schlachtgewicht von 412’000 Tonnen, importieren wir ebenfalls aus Südamerika. 9.9 Quadratmeter Platz werden durchschnittlich im Ausland für ein Hühnchen benötigt5.

Naja, von den Ressourcen bekommen wir ja auch einiges an Fleisch zurück. Paradox ist, dass nur 70-72% des Hühnergewichts ausgeschlachtet werden kann6. Fast 80% des verkauften Hühnchen Fleisches in deutschen Supermärkten ist Hühnerbrust, obwohl die Pouletbrust lediglich 24 Prozent des Gesamtgewichtes eines Huhns ausmacht. Der Grossteil des Huhns verlässt Europa also wieder, weil es hier keine Abnehmer*innen gibt7.

Die Tierreste, die in Europa als Schlachtabfälle gelten, werden tiefgefroren per Schiff nach Afrika verfrachtet. Das bringt keine extra Einkünfte, spart aber Entsorgungskosten für hiesige Produzenten*innen.

Hilft das zusätzliche Fleisch die Nahrungsmittelknappheit in Afrika zu verringern? Studien zeigen das Gegenteil: Die lokale Geflügelzucht kann mit den reduzierten Preisen aus Europa nicht mithalten. Sicherlich können sich gewisse Bevölkerungsgruppen erstmals Fleisch leisten, auch wenn dieses einiges an Weg zurücklegen musste und die Qualität hinterfragt werden kann. Andere verlieren dadurch ihr Einkommen. Durch lange Transportwege und regelmässige Stromausfälle ist es fast unmöglich, das Fleisch ununterbrochen zu kühlen. Das Geflügelfleisch wird deshalb mehrmals aufgetaut und wieder eingefroren oder liegt stundenlang in der eigenen Auftauflüssigkeit. Das Fleisch aus Europa ist folglich voller Krankheitserreger8.

Ein verbreiteter Glaube ist, dass bisher genannte Auswirkungen durch die Wende hin zu Bio Hühnchen behoben werden können. Die Hühner werden in Bio-Ställen unter anderen Bedingungen gezüchtet und gehalten, für das Klima ist das keine Lösung.

Bei der Produktion von Hühnerfleisch macht die Tierproduktion9 den grössten Anteil der CO₂-Emissionen aus. Die Produktion der Futtermittel ist dabei für mehr als 60% verantwortlich. 100 Gramm tierische Hähnchenbrust verursachen von der Produktion der benötigten Futtermittel bis zum Verkaufsregal in der Schweiz 701 Gramm CO₂ Äquivalente10. 100 Gramm des pflanzlichen Hähnchens verursachen gerade mal ein Viertel davon. Das pflanzliche Hühnchen verbraucht zudem knapp 50 % weniger frisches Wasser (23.5 Liter pro 100 Gramm Hühnchenbrust).

Wenn wir also den Hähnchenkonsum stoppen, tragen wir zur Reduktion der CO₂ Emissionen bei. Wir tragen zur Ernährungssicherheit bei. Wir erlauben Werte wie Mitgefühl, Integrität und Warmherzigkeit in unserer Ernährung. Werte, die menschlichen Wesen angeboren sind. Wir geben diesen Werten wieder Platz in der Geschichte unseres Essens.

Wenn dieser Prozess beginnt, wird er uns Menschen helfen uns bewusst zu entscheiden, ob wir dieses Ei oder diese Hühnerbrust essen möchten. Oder möchten wir mehr und besser?

Der Vergleich

Lasst uns nun gemeinsam prüfen, ob pflanzliches Hühnchen dich überzeugen kann, besser zu werden.

  Tierisches Hühnchen (CH) Planted.chicken (CH)
Gut fürs Klima ✗ 701 CO₂äq./100g ✓ 182 CO₂äq./100g
Gute Wasserbilanz ✗ 23.5 L/100g ✓ 12.6 L/100g
Proteine ✓ 23.5 g / 100g (genug)11 ✓ 23.7 g / 100g (genug)
Komische Zusatzstoffe ✗ Hormone, Antibiotika etc. ✓ Keine.
Nährstoffe
Kurze Transportwege ✗ & ✓ keine vollkommene Transparenz hinsichtlich Futtermittelimport12 ✓ Garantiert Zutaten aus der EU
Vollverwertung möglich ✗ Ausschlachtung liegt bei 70-72% ✓ was produziert wird, wird verpackt
Keine Gefahr für den Regenwald ✗ Keine Transparenz ob fürs Hühnerfutter Regenwald abgeholzt wurde.13 ✓ Bestimmt kein Stück Wald angerührt.
Kein Tierleid ✗ Hohe Besatzdichte führt zu giftigen Gasen, Verhaltensstörungen, Zurückdrängung der Grundbedürfnisse, Überzüchtung und andere körperliche Leiden sowie Schäden, Schlachtung14
Allgemeine Lebenserwartung der Tiere ✗ schlecht Männchen: Lebenserwartung von 36 Tagen
Tote männliche Hühnchen ½ der Population fehlt Alles lebt noch
Chicken Poop ✗ Stinkt. (Verursacht giftige Gase). ✓ Gibts nicht.
Genuss ✗ & ✓ Manchmal beisst man auf Knorpel, das knackt das so komisch. Dafür kann man mit den Zähnen so lecker die knusprige Haut vom Fleisch abziehen. Das wiederum macht dann wieder Spass. ✓ Schmeckt + erlaubt für Mitgefühl
Einzigartigkeit Wird es wohl ab dem Jahr 2030 nicht mehr geben (Weil wir unsere dann Klimaziele erreicht haben : ). Noch Schwierig zu kriegen, Hinweis: gibt es im Coop, Migros und im Planted Shop mit dem Rabattcode EATERNITY20 (21.-28.09.)

TLDR

Das zarte tierische Hähnchenfleisch kann trotz all dem eine grosse Versuchung darstellen. Habt ihr gewusst, dass mit dem aktuellen Stand der Technologie aus Erbsen ein pflanzliches Hühnchen hergestellt werden kann? Dieses ist verblüffend ähnlich in der Konsistenz und dem Geschmack. Proteine, gesunde Fette, keine Zusatzstoffe, keine Antibiotika. Eigentlich genau alles drin, was wir brauchen.




  1. Statista, 2020, Konsum von Hühnerfleisch weltweit in den Jahren 2010 bis 2021, Aufgerufen am 28.07.2021 unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/317934/umfrage/konsum-von-huehnchenfleisch-weltweit/ 

  2. Wolff et al. 2016. Schlussbericht Projekt „EnviMeat“. Ökobilanz verschiedener Fleischprodukte, Geflügel-, Schweine- und Rindfleisch. Agroscope. 

  3. Die Massentierhaltung und die Überzüchtung von Hühnern machen die Tiere anfälliger für Krankheiten. 

  4. Robert Koch Institut, 2018, Neue Zahlen zu Krankheitslast und Todesfällen durch antibiotikaresistente Erreger in Europa, Verfügbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Uebersichtsbeitraege/AMR_Europa.html 

  5. WWF, 2014, Fleisch frisst Land, Verfügbar unter https://www.wwf.de/fileadmin/user_upload/WWF_Fleischkonsum_web.pdf 

  6. Als Ausschlachtung wird das Verhältnis von Schlachtgewicht zu Lebendgewicht des Tieres vor der Schlachtung bezeichnet. Es variiert je nach Hühnerrasse, hier mehr dazu: Ingrid Simon und Josef Stegemann, 2007, Landwirtschaftszentrum Haus Düsse der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, “Hähnchenherkünfte im Vergleich 2007” Aufgerufen am 16.08.2021 unter https://www.landwirtschaftskammer.de/duesse/tierhaltung/gefluegel/versuche/masthaehnchen/2007_haehnchenherkuenfte.pdf 

  7. O.V. in Infosperber, 2014, Unsere Poulets machen Afrikaner arm und krank, Aufgerufen am 28.07.2021 unter https://www.infosperber.ch/politik/welt/unsere-poulets-machen-afrikaner-arm-und-krank/ 

  8. Alexander Göbel in Deutschlandfunk, 2018, Ghana und das globale Huhn, Aufgerufen am 28.07.2021 unter https://www.deutschlandfunk.de/folgen-des-welthandels-ghana-und-das-globale-huhn.724.de.html?dram:article_id=433492 

  9. In der Tierproduktion (Viehwirtschaft oder Viehhaltung genannt) werden landwirtschaftliche Nutztiere zur Erzeugung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen gehalten. 

  10. Itten, R., Scharfy, D., Stucki M. 2016. Environmental impact of chicken and pork. Economic allocation of different meat cuts. ZHAW Zurich University of Applied Science, Wädenswil, unpublished document. Die Aufteilung auf die verschiedenen Hühnerfleischteile (Brust, Flügel, Schenkel) erfolgt anhand der Daten von Wolff et al. 2016, zitiert auf Seite 1. 

  11. Katrin Koelle in Eat Smarter, 2020, Hähnchen, Aufgerufen am 28.07.2021 unter https://eatsmarter.de/lexikon/warenkunde/fleisch/haehnchen 

  12. Gemäss Angaben von Optigal gibt es Fälle, in welchen Konsumenten*nnen Poulet essen, das nur mit zertifiziertem Futter aus Europa gefüttert wurde. Es ist ebenso möglich, dass unzertifiziertes Futter aus Brasilien verwendet wurde. Mehr findet ihr unter: https://optigal.ch/uploads/download/Optigal_Der_Weg_zum_guten_Poulet_01.pdf und Wolff et al., 2016, Ökobilanz verschiedener Fleischprodukte, Aufgerufen am 23.08.2021 unter https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/36267 

  13. Jeden Tag werden in Brasilien die Fläche von 4340 Fussballfelder vernichtet. Ein Grossteil davon kann der Sojaproduktion für Tierfutter zugeschrieben werden. Wiederum ein Teil wird Hühnchen verfüttert. Hier zwei Quellen dazu: O.V. in SRF, 2020, Pro Tag werden 4340 Fussballfelder Regenwald abgeholzt, Aufgerufen am 28.07.2021 unter https://www.srf.ch/news/international/entwaldung-des-amazonas-pro-tag-werden-4340-fussballfelder-regenwald-abgeholzt und O.V., 2021, Soja für Tierfutter Negative Auswirkungen hier und dort, Oroverde die Tropenwaldstiftung, Aufgerufen am 28.07.2021 unterhttps://www.regenwald-schuetzen.org/verbrauchertipps/soja-und-fleischkonsum/soja-fuer-tierfutter 

  14. Durch die kontinuierlich steigenden Nachfrage nach Hühnchenfleisch gibt es in der Schweiz immer mehr grosse industrielle Mastbetriebe. Die sehr hohe Nachfrage hat Folgen auf die Haltungsbedingungen der betroffenen Tiere. Eine Reduzierung des Konsums tierischer Produkte ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Haltungsbedingungen der Tiere mittel- bis langfristig verbessert werden können und Leiden reduziert werden kann. Hier zwei interessante Quellen zur Massentierhaltung: https://media.4-paws.org/8/c/d/d/8cddc6c9bded6c0b1f997d57460b23bd7f92ce60/VP-Bericht-Tierfreundliche-Gemeinschaftsverpflegung-Web-04-Dez.pdf undhttps://files.albert-schweitzer-stiftung.de/1/Masthuehner-Albert-Schweitzer-Stiftung-fuer-unsere-Mitwelt-05-Mai-2017.pdf 

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AYCE ist eine Gruppe von Menschen, die sich dafür einsetzt, dass eine nachhaltige Lebensmittelzukunft schneller passiert.